Paul Maar (*1937)

Wenn Buch dann Buch, wenn Kino dann Kino – ein Werkstattgespräch mit Paul Maar

Die Behauptung, der Film sei der Feind des Buches ist weit verbreitet. Einerseits würden Kinder dadurch vom Lesen abgehalten, und andererseits seien Verfilmungen immer schlechter als ihre Vorlagen. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ich hatte in Erfurt eine Lesung nachdem dort der erste Sams-Film gelaufen ist. Ich war überzeugt, dass aus diesem Grund und weil in Ostdeutschland die Arbeitslosigkeit so hoch ist, nur wenige Bücher verkauft würden. Zu meiner Überraschung haben viele Kinder nicht nur eines sondern zwei Bücher signieren lassen. Ein Junge kam sogar mit allen fünf Bänden auf mich zu und ihn habe ich dann gefragt, weshalb er gleich alle fünf gekauft habe. Er hat mir eine Antwort gegeben, die ich mir merken musste: „Erstens habe ich den Film gesehen und möchte nun wissen, wie die Geschichte weitergeht. Und zweitens, der Film ist irgendwann vorbei. Wenn ich aber das Buch habe, kann ich meine Lieblingsszenen jeden Abend nochmals lesen.“ Die Verfilmung hat diesen Jungen also zum Lesen angeregt. Das Klischee, dass der Film der Feind des Buches sei, stimmt nicht.

Dennoch gibt es Unterschiede zwischen den beiden Medien. Stört es Sie, wenn aus ihren Büchern Filme werden?

Der Film ist ein anderes Medium als das Buch. Das eine ist eine optische, das andere eine literarische Kunstform und jede hat ihre eigene Gesetzmässigkeit. Wenn der Film schlecht oder schlampig gemacht ist, kann das dem Autor tatsächlich die Tränen in die Augen treiben. Ich habe das bei Michael Ende eindrücklich erlebt, der mit der Verfilmung der „Unendlichen Geschichte“ (1984) überhaupt nicht einverstanden war und es zutiefst bedauert hat, dass er sein Buch aus der Hand gegeben hatte.

Dieses Erlebnis hat bei mir dazu geführt, dass ich an die zwanzig Angebote für die Verfilmung des Sams abgelehnt habe. Ich habe meine Zustimmung immer vor einem Vertrag abhängig gemacht, der mir erstens zusicherte, dass ich selbst das Drehbuch schreiben konnte, der mir zweitens ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Besetzung einräumte und der mir drittens ein Vetorecht bei der Wahl des Regisseurs zugestand. Für mich ist es ideal, wenn ich als Autor bis zum Schluss Einfluss auf die Gestaltung nehmen kann. Ich wollte deshalb der Verlockung nicht erliegen, die Filmrechte für viel Geld abzutreten, dann aber auch mein Werk aus der Hand zu geben.

Wie Sie hat auch Astrid Lindgren fast alle Drehbücher zu ihren Vorlagen selbst geschrieben. Sollte das die Regel sein?

Nicht jeder Autor hat die Fähigkeit, seine Vorlage in ein Drehbuch zu übertragen. Mir hilft da meine Theatererfahrung sehr, denn ich habe bereits zwanzig Kindertheaterstücke geschrieben. Dabei habe ich schon oft erlebt, wie sich ein Buch bei der Übertragung in ein Theaterstück verändert. Ich bin also kein Autor, der an jedem Satz und jeder Szene eines Buches klebt und meint, alles müsse eins zu eins in den Film übertragen werden. Ich spüre inzwischen auch ziemlich genau, was im Theater und im Film funktioniert und was nicht. Und schliesslich habe ich mich in der Zusammenarbeit mit Ulrich Limmer sehr schnell auf seine Vorschläge einlassen können. Man muss als Autor filmisch zu denken beginnen, muss seine eigene Vorlage weiter entwickeln und loslassen können.

Sie haben zwei Sams-Filme gemacht. Die Stimmung ist nicht in beiden diesselbe. Der erste ist etwas melancholisch, der zweite sehr komödiantisch. Welcher gefällt ihnen besser?

Mit dem ersten Sams-Film bin ich hundertprozentig zufrieden, mit dem zweiten nicht so ganz. Das liegt vielleicht auch daran, dass Ulrich Limmer und ich da nicht immer am Set sein konnten. In „Das Sams“ (2001) gab es beispielsweise eine Szene, bei der wir, als wir uns die Muster ansahen, merkten, dass sie nicht funktionierte – und das Problem lag nicht an der Regie sondern an unserem Drehbuch. Daraufhin haben wir uns hingesetzt, die Szene umgeschrieben und den Regisseur Ben Verbong sowie die Schauspieler gebeten, die Szene nochmals zu drehen. In der Szene, um die es ging, tanzt Herr Taschenbier auf dem Tisch im Restaurant „Da Tonino“, dann verlässt er den Raum und, Schnitt, steht er vor einer Würstchenbude. Nun haben wir die Tanzszene in den Korridor des Restaurants verlängert, wo sich Taschenbier schliesslich erschöpft auf ein Sofa sinken lässt und das Sams bittet, sich doch endlich einmal etwas Sinnvolles zu wünschen, beispielsweise dass sich Frau März in ihn, Taschenbier, verliebt. Aber sobald das Sams damit einverstanden ist, wird ihm klar, dass eine durch einen Wunsch erzwungene Liebe gar nichts wert wäre. Optisch wird dieser wichtige und intime Moment mit einer Nahaufnahme Taschenbiers unterstützt. Erst dann haben wir die Szene vor der Würstchenbude angefügt.

Und was gefällt Ihnen an „Das Sams in Gefahr“ (2003) nicht hundertprozentig?

Da sind mir ein bisschen zu viele digitale Effekte drin, die ich übertrieben finde. Auch hier ein Beispiel: Wenn Herr Taschenbier gegen den Turnlehrer Daume ein Rollschuhduell austrägt, dann stand im Drehbuch, dass er hochhüpft und Daume unter ihm durchfährt. Im Film springt er zwar ebenfalls hoch, macht dann aber in der Luft stillstehend und ohne dabei tiefer zu sinken einen Rückwärts-Salto. Dadurch wird er zur Kunstfigur und man verliert das Gespür dafür dassTaschenbier ein normaler Mensch ist. Das sind zwar nur Details, aber sie machen es aus, dass mir der erste Film insgesamt besser gefällt als der zweite. Ich habe allerdings auch die Erfahrung gemacht, dass Erwachsenen der erste Teil besser gefällt und Kinder den zweiten Teil spannender und lustiger finden.

Beide Sams-Filme spielen in einer nicht klar definierten Epoche…

…man weiss bei der Welt, die darin gezeigt wird, nie so recht, ob das nun die fünfziger Jahre sind oder nicht. Das ist ganz bewusst so gestaltet.

Auch bei „Herrn Bello“ hat mir eine Journalistin vorgehalten, der Film sei vom Ambiente her doch ziemlich altmodisch, es kämen beispielsweise keine Handys vor und keine Computer. Ich habe daraufhin geantwortet, dass der Film dafür in zwanzig Jahren noch exakt so altmodisch aussehen wird wie heute – aber er würde mit Handys und Computer (die in zwanzig Jahren völlig anders aussehen werden) noch viel, viel altmodischer wirken. Sowohl beim Sams wie bei Herrn Bello wollten wir zeitlose Filme gestalten.

Nochmals zurück zum Grundsätzlichen. Wo liegen die jeweiligen Stärken von Buch und Film?

Das klingt nun sehr nach Gemeinplätzen, weil man es so oft liest: Beim Buch entstehen die Bilder im Kopf und der Leser wird damit gewissermassen zum Co-Autor des Autors, weil er sich eine ganze Welt in seiner eigenen Fantasie aufbauen muss. Lesen fördert also die kreative Eigenleistung. Das hat unter anderem gerade für Kinder den Vorteil, dass sie sich jene Bilder vorstellen können, die sie auch ertragen.

Dagegen wird beim Film alles Visuelle vorgesetzt. Man kann dem, was man sieht, nicht entgehen: Kulisse, Schauspieler, Stimmen, Ton – damit wird die eigenen Kreativität natürlich eingeschränkt. Aber der Film hat auch Vorzüge. Vor allem ist er fast immer explizit ein Gemeinschaftserlebnis. Wenn hundert Kinder in einem Kinosaal sitzen, dann lachen sie ungebremster und steigern ihr Lachen gegenseitig. Zudem glaube ich, dass der Film emotionaler ist als das Buch. Natürlich weint man bei einem Buch vielleicht auch einmal, aber der Film ist beinahe übermächtig im Erzeugen von Stimmungen. Das Bild, die Möglichkeit der Nahaufnahme, die Filmmusik – er besitzt so viele Mittel, um Emotionen zu verstärken .

Allerdings habe ich manchmal das Gefühl, dass die Emotionen ebenso schnell wieder verblassen wie sie erzeugt werden. Sind Bücher da nicht nachhaltiger?

Es gibt eine Geschichte von Katherine Mansfield, „Das Puppenhaus“, die lese ich alle zwei, drei Jahre. Sie ist eine Art Test für mich, weil es da eine Stelle gibt, an der ich immer weinen muss oder mir mindestens die Tränen in die Augen steigen. Und das funktioniert immer. Ich weiss nicht, ob sich die Betroffenheit beim Film nicht etwas abnützen würde, ob ich also, wenn ich einen Film zum zehnten Mal sehe, immer noch weinen müsste. Andererseits gibt es aber Bilder aus Filmen, die einen nicht loslassen und bis in die Träume verfolgen. Bei meiner Tochter Katja war es beispielsweise der Laurel und Hardy-Film „Babes in Toyland“ (USA 1934). Darin kommen kleine schwarze Wesen vor, die von allen Seiten die Helden einkreisen. Noch jahrelang hat sie diese kleinen, unheimlichen Wesen gezeichnet. Heute fragt sie sich, weshalb bei ihr ausgerechnet diese Bilder solche Angst ausgelöst haben. Vielleicht prägen sich Bilder beim Film stärker ins Gedächtnis ein als beim Buch.

In ihrem Buch „Herr Bello und das blaue Wunder“ erzählt Max zu Beginn lakonisch, dass er vor vier Jahren zum letzten Mal eine Karte von seiner Mutter erhalten hat und ihn daran eigentlich nur die Briefmarke interessiert hat. Mit ein paar wenigen Sätzen wird offensichtlich, dass er die Scheidung der Eltern überwunden hat. Im Film ist das nicht so: Die Mutter ist gestorben und Max trauert noch immer um sie. Weshalb haben Sie diese Veränderung vorgenommen?

Mein Co-Autor Ulrich Limmer mit seiner langjährigen Filmerfahrung war überzeugt, dass die Zuschauer von einer wichtigen Figur, die am Anfang eines Film erwähnt wird, erwarten, dass sie im Verlauf der Handlung auch noch leibhaftig auftauchen wird. Deshalb fand er, wir müssten absolut klar machen, dass die Mutter nicht mehr auftreten kann, weil sie vor sieben Jahren gestorben ist.

Zudem kam hinzu, dass er fand, „Herr Bello“ sei zwar eine Komödie, wir sollten aber dennoch versuchen, einen Konflikt aufzubauen. Wenn nun aber Max gar nichts gegen Frau Lichtblau, die neue Frau im Leben seines Vaters, hat, wie entsteht dann Spannung? Deshalb haben wir uns für dieses symbiotische Verhältnis zwischen Vater und Sohn entschieden, so dass der Sohn gar nicht will, dass hier eine neue Frau eindringt und der Vater seinem Sohn zuliebe auf jede feste Beziehung verzichtet. Darunter leiden im Grunde beide, und doch können sie beide nicht ausbrechen. Es läuft also ähnlich wie beim Sams: Zunächst schildern wir eine präzise Umgebung und eine psychologische Situation. Dann bricht ein fantastisches Wesen in dieses System ein, nämlich Herr Bello, und wirft es über den Haufen. Und am Ende haben Vater wie Sohn die Trauer überwunden: Der Sohn kann auf eine neue Mutter zugehen, der Vater eine Beziehung aufzubauen.

Im Buch hat Max gar nichts gegen Frau Lichtblau und sieht es eigentlich nicht gern, dass sich auch Herr Bello in sie verliebt. Im Film dagegen macht Max aus Herrn Bello ganz bewusst einen Rivalen.

Wir fanden es komödiantischer, wenn Max zu verhindern versucht, dass sich Frau Lichtblau in seinen Vater verliebt. In dem Augenblick, in dem der Mensch gewordene Herr Bello aus dem Fenster sieht, Frau Lichtblau entdeckt und „schönes Weibchen, schönes Weibchen“ sagt, kommt Max die Erleuchtung: „Ach, die findest du nett.“ Und dann baut er Herrn Bello als Konkurrenz zu seinem Vater auf. Das ist natürlich komisch, weil er sich Verführungsmethoden eines Zehnjährigen ausdenkt und daran glaubt, dass dieser komische Herr Bello tatsächlich Frau Lichtblau erobern kann.

„Herr Bello“ hat eine aussergewöhnliche Entstehungsgeschichte, weil Sie zunächst mit Ulrich Limmer ein Originaldrehbuch geschrieben haben, dann aber aus dem Stoff ein Buch gemacht haben, das vor dem Film erschienen ist. Wie muss man sich dieses Hin und Her vorstellen?

Ich habe während der Arbeit am Buch gar nicht so oft ins Drehbuch geschaut sondern versucht, die Empfindungen und Erinnerungen wachzurufen, die ich damals beim Drehbuchschreiben hatte. Ab und zu habe ich natürlich gespickt, um zu sehen, wie ich etwas formuliert hatte. Aber vieles ist inzwischen einfach Handwerkszeug und Erfahrung, ich spüre unmittelbar, was in einen Film passt und was in ein Buch.

Also fällt mir beispielsweise plötzlich ein, dass wir im Film ja gar nicht wissen, wie Sternheim, der Vater von Max, mit Vornamen heisst. Dann komme ich auf einen so dämlichen Vornamen wie Pippin und erzähl gleich noch, dass der Grossvater ein Historiker war und Pippin I. sein Lieblingskaiser. Damit wird klar, weshalb der Vater, der unter diesem Namen leidet, seinem Sohn einen so einfachen, kernigen Namen wie Max gegeben hat. Solche Dinge kann ich im Buch mit Behaglichkeit und Vergnügen erzählen.

Hat sich das Buch dann wiederum auf das endgültige Drehbuch ausgewirkt?

Natürlich. Im ersten Drehbuch stand beispielsweise, dass das Elixier, welches den Hund verwandelt, im alten Labor des Grossvaters gefunden wird. Das schien mir für das Buch zu wenig spektakulär. Ich wollte dafür eine Dialogszene. Schliesslich erfand ich die alte Frau, die den Trank bringt und am Ende des Buches wieder auftaucht. Damit konnte ich eine kreisförmige Struktur schaffen. Als Ulrich Limmer das Buch gelesen hat, fand er die Idee mit der alten Frau so gut, dass er sie wiederum ins Drehbuch übernehmen wollte.

Wenn man nicht wüsste, dass das Buch auf einem Drehbuch basiert, würde man es nicht merken. Es wirkt völlig eigenständig. Hat es Spass gemacht, den klassischen Ablauf auf den Kopf zu stellen?

Wenn ich aus einem Buch vorlese, das ich in den achtziger Jahren geschrieben habe, denke ich immer wieder: „Na, ja, das würde ich jetzt anders schreiben. Dieses Kapitel würde mit zwanzig Jahren Erfahrung im Hintergrund ganz anders anfangen.“ Aber man kann ja nicht ein zwanzig Jahre altes Buch neu schreiben. Bei „Herr Bello“ hatte ich endlich die Gelegenheit, das doch zu tun, indem ich mit Ulrich zusammen zunächst ein Drehbuch geschrieben habe, dieses ein Jahr liegen liess, und es dann nochmals ganz neu lesen konnte. Damit war ich frei, Dinge zu übernehmen, andere nicht, Szenen zu erweitern oder neu zu erfinden. Ja, es hat grossen Spass gemacht, aus einem Drehbuch ein Kinderbuch zu machen.

Dass schlussendlich das Buch doch vor dem Film erschienen ist, hat allerdings leider zur Folge, dass es nun heisst, „Herr Bello“ sei ein Film nach einem Buch von Paul Maar. Dabei haben Ulrich Limmer und ich diesen Hundemenschen und die Geschichte gemeinsam entwickelt.

Weshalb haben Sie mit dem Buch nicht gewartet, bis der Film realisiert war?

Das Buch liegt mir wirklich sehr am Herzen und nicht umsonst habe ich einen zweiten Teil geschrieben, zu dem es keine Vorlage gab, einfach weil ich die Figur dieses merkwürdigen Hundemenschen mit seiner komischen Sprache so lieb gewonnen habe. Aber zunächst das Buch zu veröffentlichen, hilft natürlich der Vermarktung des Films enorm, weil sich in den letzten Jahren gezeigt hat, dass Kinderfilme, die auf erfolgreichen Vorlagen basieren, viel besser laufen, ob das nun „Die wilden Hühner“, „Die wilden Kerle“ oder „Räuber Hotzenplotz“ ist. Dagegen hat es ein Originalstoff wie „Die Blindgänger“ sehr schwer, selbst wenn er mit dem deutschen Filmpreis ausgezeichnet wird. Daher ist es natürlich ideal, wenn man vorher so etwas wie eine Marke „Sams“ oder „Herr Bello“ aufbauen kann.

„Herr Bello“ war bereits die dritte Zusammenarbeit mit dem Produzenten und Drehbuchautor Ulrich Limmer und mit „Lippels Traum“ haben sie ein viertes Drehbuch verfasst, dass im nächsten Jahr realisiert wird. Wie haben sie sich gefunden?

Bei unserer ersten Begegnung habe ich Ulrich Limmer getestet und ihn gefragt, welches für ihn im Sams die Hauptperson sei. Wenn er gesagt hätte, das Sams, hätte ich vielleicht abgewunken, aber er hat den Test bestanden und gesagt, Herr Taschenbier sei die Hauptfigur. Er hat mir dann erklärt, eine fantastische Figur wie das Sams sei am Anfang des Filmes genauso wie am Ende, das könne zwar nett sein, sei aber auch ein wenig langweilig. Herr Taschenbier dagegen, der eine Entwicklung durchmacht, anfangs wie magenkrank auf dem Stuhl sitzt und von allen herumgeschubst wird, am Ende aber am Markstand sagen kann „Jetzt bin ich an der Reihe!“ und eine Frau für sich gewinnt, eine solche Figur sei für Kinder und Erwachsene gleichermassen eine interessante Identifikationsfigur. Da wusste ich, dass es mit Ulrich funktionieren konnte.

Ich habe ihm dann gestanden, dass ich Angst hatte, das Sams könne wie ein verkleidetes Kind am Fasching aussehen. Er hat mir daraufhin versprochen, für die Maske des Sams den besten verfügbaren Maskenbildner zu engagieren, was ihm mit Waldemar Pokromski dann auch gelungen ist. Weiter hat er vorgeschlagen, für die Musik Nicola Piovani zu holen, der für „La vita è bella“ eben den Oscar erhalten hatte. Und ich dachte mir, wenn ein Produzent bereit ist, so viel Geld auszugeben, dann macht er sicher nicht einen billigen Kinderfilm.

Später habe ich erfahren, dass es bei Kinowelt, für die er damals noch gearbeitet hat, Leute gab, die ihn für verrückt erklärten, weil er einen so teuren Kinderfilm machen wollte. Aber Ulrich hat unbeirrt für seine Vision eines Familienfilms gekämpft. Darunter versteht er einen Film, der genauso sorgfältig gemacht wird wie ein Film für Erwachsene und der alle Generationen anspricht. Die 1,8 Millionen Zuschauer, die das „Das Sams“ schliesslich sehen wollten, haben ihm Recht gegeben.

Als Buchautor sind Sie ein Einzelkämpfer. Für die Drehbücher mussten Sie im Team arbeiten. Wie haben Sie diese Umstellung hingekriegt?

Wir haben eine Regel von Billy Wilder übernommen: Wenn einer eine Idee vorbringt, die dem anderen nicht gefällt, dann sagt dieser: „Das möchte ich nicht.“ Und mit dieser Formel ist jede Diskussion zu Ende. Dann darf man seine Idee nicht weiter verteidigen sondern muss das Veto akzeptieren. Am Anfang habe ich natürlich schon leer geschluckt, wenn Ulrich gesagt hat: „Das möchte ich nicht.“ Manchmal war ich auch verärgert, wenn meine Idee so gar nicht gewürdigt wurde. Aber wenn ich dann nachts im Bett nochmals darüber nachgedacht habe, spürte ich, dass die Idee, die wir gemeinsam entwickelt hatten, doch besser war. Wir wollten ja nicht unser Ego durchsetzen sondern einen bestmöglichen Film machen.

 Und sieht ihre Zusammenarbeit konkret aus?

Wir haben jeweils zwei Monitore vor uns auf dem Tisch stehen und abwechslungsweise ist einer von uns am Schreiben, während der andere mitliest und kontrolliert, ob die Sätze auch genauso geschrieben werden, wie sie gerade formuliert wurden. Einer kommt also mit einer Formulierung, der andere sagt „…wäre es nicht witziger, wenn…“, darauf der eine „…dann müsste aber noch…“ – so geht es hin und her. Und oft hält es uns nicht am Tisch, gerade bei Dialogen. Wir sind offenbar beide ein wenig verhinderte Schauspieler und spielen uns viele Szenen und Ideen gegenseitig vor.

Wie gross ist dann noch der Einfluss des Regisseurs Ben Verbong, der bisher all Ihren Filme inszeniert hat?

Als Ben unsere Drehbuchfassung von „Herrn Bello“ gelesen hatte, fand er diese zwar gut, aber nicht emotional genug. Er hat uns deshalb gebeten, noch etwas mehr Gefühle hineinzubringen. Dadurch hat die Geschichte sicher an Tiefe gewonnen, sie wurde aber auch melancholischer und etwas trauriger. Ben hat diese Ebene durch seine Regie dann noch verstärkt, so dass ich jetzt finde, der Film dürfte durchaus etwas komischer sein.

Eine Idee von Ben habe ich allerdings sofort mit Begeisterung aufgenommen. Im Drehbuch läuft der Hund dem Max auf dem Bauernhof zufällig über den Weg. Ben fand, es wäre spannender, wenn man das Gefühl hätte, der Hund habe praktisch die ganze Zeit auf Max gewartet. Im Film steht Max nun vor einem grossen Maisfeld, in dem sich die Halme zu bewegen beginnen und plötzlich der Hund direkt auf ihn zuläuft. Ich fand das eine geniale Idee und wusste auch sofort, woher der Hund kam: Die Mutter von Max hatte ihm diesen geschickt. Es trifft sich nämlich schön, dass der Hund ein Symbol für das Totenreich ist. Deshalb sollte im Hintergrund des Bildes auch ein Leichenwagen vorbeifahren. Herr Bello ist also ein Geschenk der Mutter, weil sie möchte, dass ihr Mann und Max wieder glücklich werden.

Ihr Buch zeichnet sich unter anderem durch häufige Perspektivenwechsel aus, ein Stilmittel dem man in Kinderbüchern äusserst selten begegnet. Im Film haben sie darauf verzichtet.

Stimmt, dieses formale Element haben wir vollständig weg gelassen. Der Film bleibt immer bei Max, lediglich wenn die verwandelten Tiere durch die Stadt marschieren, gibt es einen Wechsel der Sichtweise. In Büchern für Erwachsene kommen ja häufig Perspektivenwechsel vor. Im Buch wollte ich ausprobieren, ob das auch bei Kindern funktioniert. Und tatsächlich haben Kinder überhaupt keine Schwierigkeiten damit, dass einmal Max in der Ich-Form erzählt und dann wieder der auktoriale Erzähler.

Was treibt eigentlich einen Autor an, immer wieder neue Geschichten zu erfinden? Ist es die ewige Suche nach der perfekten Erzählung?

Da ist was dran. Ich versuche immer noch, erstens, perfekt zu werden, und, zweitens, neues auszuprobieren.

© THOMAS BINOTTO

PUBLIZIERT IM «FILMBULLETIN» 9/2007

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