Michael «Bully» Herbig (*1968)

 

Fast zwölf Millionen sahen den «Schuh des Manitu» im Kino; jetzt kommt «Wickie und die starken Männer». Eine Begegnung mit Michael «Bully» Herbig, dem erfolgreichsten deutschen Regisseur der Gegenwart, der die Massen beglückt und das Feuilleton narrt.

Ist das Kunst, wenn sich eine rosa Puderquaste «Winnetouch» nennt? Oder ein Dialog, der so geht: «Mein Name ist Rock.» – «Kuschel oder Hard?» Und wie steht es mit einem Animationsfilm, in dem eine Lissi in die Arme eines Yeti sinkt, der mit hoher Männerstimme spricht und wie Reinhold Messner aussieht? «Nun will Herbig den kleinen, klugen Wickie mit dem Schenkelklopfer zerteilen», stöhnte die Süddeutsche Zeitung prophylaktisch, als sich Michael «Bully» Herbig «Wickie und die starken Männer» vornahm.

Es ist die Angst des Feuilletons vor Deutschlands erfolgreichstem Regisseur der Gegenwart. In harten Zahlen: 2001 lockte «Der Schuh des Manitu» 11,7 Millionen Zuschauer ins Kino. Das machte ihn zum erfolgreichsten deutschen Film seit 1945. Dann kam 2004 «(T)Raumschiff Surprise». Wieder war Herbigs Film Primus seines Jahrgangs, mit 9,2 Millionen Besuchern.

Zum Vergleich ein paar andere Jahrgangsbeste: 6,3 Millionen Zuschauer schauten sich «Keinohrhasen» an, 6,6 Millionen «Good bye, Lenin!». Den Kultklassiker «Lola rennt» wollten 2,3 Millionen Leute sehen. Gleich viele Zuschauer hatte 2007 Herbigs Animationsfilm «Lissi und der wilde Kaiser», aber das war für seine Verhältnisse schon beinahe ein Desaster. Ein letztes Zahlenspiel: «John Rabe», Gewinner des diesjährigen deutschen Filmpreises, hat es bislang auf gut 160000 Besucher gebracht. Das dürften annähernd so viele Zuschauer sein, wie es bei den Dreharbeiten zu «Wickie» Zaungäste hatte.

Natürlich, mit Zahlenden Erfolg zu messen, ist unfair, weil Zahlen nichts über die Qualität eines Films aussagen – behauptet zumindest das Feuilleton. Stimmt, es ist unfair, vor allem für die Erfolgreichen, weil ihre guten Zahlen der künstlerischen Reputation schaden. Aus Rache werden sie dann angeheuert, Filmpreise auf möglichst unterhaltsame Weise zu verteilen, anstatt sie entgegenzunehmen.

Keine Zeit zum Nachdenken

«Gewisse Journalisten haben offenbar Panikattacken erlitten, als bekannt wurde, dass ich ‹Wickie› machen wollte», sagt Herbig. Aber er kam dennoch nicht in Versuchung, dem Feuilleton einen Gefallen zu tun. «Bei Feuilletonisten habe ich oft das Gefühl: Die schreiben für ihre Kollegen. Eben habe ich in einer österreichischen Kritik zu ‹Wickie› den Vorwurf gelesen, bei mir dürfe Wickie nichtnachdenken. In der Zeichentrickserie habe er sich beim Steinkampf noch in die Wiese legen und nachdenken dürfen. Das ist doch unsinnig. Wie lange wollen wir in einem Kinofilm einem Kind zuschauen, das ruhig in der Wiese liegt und nachdenkt?»

Am 13. Oktober 2001 allerdings kam der Angriff so unerwartet, dass selbst Herbig für einen Augenblick verdattert wirkte. Damals schüttete Pierre Brice, unser aller Winnetou, dem Publikum auf dem Sofa von «Wetten, dass…?» sein gebrochenes Herz aus, weil sich Herbig am Tiefsten und Wahrsten vergriffen hatte, was der deutsche Kulturschatz zu bieten hat: an Karl Mays Mythos vom edlen Wilden. Eindrücklicher lässt sich nicht demonstrieren, was Komödianten mit Fallhöhe meinen. Dank Brice wurde endgültig klar, weshalb «Der Schuh des Manitu» im Gegensatz zu «Wickie» eine Parodie sein musste. «Je ernster sich eine Vorlage nimmt, desto leichter ist sie zu parodieren. ‹Wickie› dagegen ist bereits eine sehr humorvolle und witzige Fernsehserie mit vielen Slapsticks – da macht es für mich überhaupt keinen Sinn, daraus eine Parodie zu machen.»

Durchschnittstyp und Alleskönner

Michael Herbig, 1968 in München geboren und mit der «Bullyparade» auf Pro Sieben bekannt geworden, logiert für die Zürcher Premiere von «Wickie» im «Baur au Lac». Zwischen Seidentapeten, Stilmöbeln und unpersönlicher Porträtmalerei sitzt er in Jeans, T­Shirt und Skechers so entspannt auf dem Sofa, als sei er die personifizierte Harmlosigkeit. Was zunächst so gar nicht nach Komödiant und Erfolgsregisseur aussieht, gehört zu Herbigs wichtigstem Potenzial: Die grundsolide Normalität macht den begnadeten Parodisten erst möglich. Dieser Durchschnittstyp kann schlichtweg alles sein.

Im Gespräch wird schnell spürbar, wie ernst er seinen Job nimmt. «Sogar bei meinen Parodien war es mir wahnsinnig wichtig, dass sie technisch einwandfrei gemacht waren. Deshalb habe ich den ‹Schuh des Manitu› letztlich selbst produziert, weil etliche Produzenten meinten, das sei eine Komödie, also könne man sie ja im Bayerischen Wald drehen.»

Herbig signiert Stapel von Autogrammkarten, ohne dass dabei Hektik aufkommt. Lässt sich hingebungsvoll mit seinen Fans ablichten. Ist stolz darauf, seine Budgets nicht zu überziehen. Nimmt Worte wie «Verantwortung» ungeniert in den Mund. Bedankt sich schliesslich – und man glaubt es ihm – fürs interessante, leider allzu kurze Gespräch. Herbig ist Profi durch und durch, ein kluger Kopf auch, der genau weiss, wann Clown angesagt ist und wann nicht.

Wenn aus Michael der durchgeknallte Bully wird, dann bestimmt sehr kontrolliert. Viel Planung, wenig Improvisation. «Bei einer Parodie gehören, überspitzt gesagt, dreissig Gags pro Minute ins Drehbuch. Da arbeitet man mit verschiedenen Ebenen: vorne ein Wortwitz, im Hintergrund ein visueller Gag, auf der Tonspur geschieht wieder etwas Eigenes. In der Parodie versuchst du abzufeuern, was geht, auch wenn natürlich nicht jeder Schuss ein Treffer ist.»

Diese Professionalität ist Ausdruck einer Leidenschaft: Herbig liebt das Kino aufrichtig. «Weil man dafür den Hintern bewegen muss. Kino ist ein Event, und genau das macht es auch überlebensfähig. Ich bin deshalb sehr gespannt, wie sich die 3­D­Technik weiter entwickeln wird. Ich hätte schon‹Lissi und der wilde Kaiser› am liebsten in 3­D gemacht. Kino muss gross und spektakulär sein.»

Es gibt kein ehrlicheres und gnadenloseres Genre als die Komödie. Wenn’s tragisch wird, stellen wir uns sicherheitshalber tiefsinnig. Aber niemand fühlt sich gezwungen, aus Solidarität über fade Witze zu lachen. Erschütterung und Nickerchen lassen sich im Kinosaal kaum unterscheiden. Eine Komödie ohne Lacher hingegen ist ein grausam öffentliches Desaster. Der Produzent und Drehbuchautor Ulrich Limmer bringt es lakonisch auf den Punkt: «Es ist sehr viel einfacher, einen kommerziell erfolglosen Film zu machen als einen kommerziell erfolgreichen.» Der Erfolg von Komödien ist messbar und kommt ohne den Segen der Kritik aus.

Womöglich noch mehr als der Erfolg missfällt den Kulturbeflissenen, dass Komödien von Natur aus Gleichmacher sind. Das widerstrebt einem renitent­elitären Publikum: Es sträubt sich dagegen, zu einer prustenden Lachmasse zu verschmelzen. Das zu erreichen, ist jedoch genau die Kunst des Bully Herbig. «Ich glaube, es hat etwas mit Ehrlichkeit zu tun, dass man etwas aus Überzeugung macht, weil man es selber lustig findet. Es ist ein grosser Fehler, Gags zu analysieren und sich zu sagen: ‹Okay, an dieser Stelle lachen die Kids, da lachen die Erwachsenen – und jetzt brauchen wir noch etwas für die 14 bis 24­Jährigen.› Das geht komplett in die Hose, weil man zuletzt einen Einheitsbrei abliefert, den am Ende des Tages überhaupt niemand mehr mag.»

Komödien sind also ein hochriskantes Unternehmen. Ob sie funktionieren, lässt sich nicht im Labor feststellen. «Ich halte nichts von Testvorführungen. Die sind völlig überbewertet. Ihr grosser Nachteilbesteht darin, dass sich die Leute durch den Fragebogen aufgefordert fühlen, etwas Kritisches zu sagen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass man sie so förmlich auf Fragen stösst, die sie sonst gar nie gestellt hätten. Mir geht es ja auch so, wenn mich ein Kollege anfragt, ob ich Lust hätte, seinen Rohschnitt anzuschauen. Ich gehe rein, schaue mir einen halbfertigen Film an und stelle genau dieselben doofen Fragen.» Doofe Fragen stellen übrigens auch Kritiker, welche Pressevorführungen besuchen.

Wer hinter das Geheimnis der Komödie kommen will, dem bleibt laut Herbig deshalb nur eine Wahl: Ganz normale Kinovorstellungen besuchen, denn «wenn du permanent mit Gleichgesinnten im Sud schwimmst, verlierst du den Blick fürs Ganze». Als Zuschauer unter Zuschauern lernt Herbig, wie Kino funktioniert.

Dann geht er hin und macht selbst welches, auf eigenes Risiko: «Bei mir rebelliert der Bauch, sei es beim Schreiben, beim Drehen oder beim Schneiden. Ich kann das Gefühl nicht genau beschreiben, aber ich spüre sofort, da zwickt was, da funktioniert etwas nicht, das macht keinen Spass. Das ist natürlich keine Garantie für den Erfolg, aber es hilft mir immerhin, dass ich am Ende weiss, alles getan zu haben, was ich für richtig halte.»

Mit «Wickie und die starken Männer» hat Herbig, wie es scheint, sogar das Feuilletonzufriedengestellt. Wenn das bloss kein schlechtes Omen ist. Und auch nicht der Auftakt zur süssen Rache der Cineasten. Die besteht nämlich in Fällen wie bei Herbig darin, dem puren Vergnügen mit analytischem Brimborium doch noch drögen Tiefsinn unterzujubeln.

Dann allerdings wäre es höchste Zeit, dass Herbig wahr macht, was er schon 2001 angedroht hat: «Ich glaube, ich mache jetzt einen Kunstfilm. Ich nenne ihn ‹Metapher›, natürlich unter einem anderen Namen, zum Beispiel Michelle Bulier. Ich drehe dann auch in Schwarzweiss. Und die Frauen haben dann natürlich auch Haare unter den Achseln, und aller Wahrscheinlichkeit nach wird der Film in Tschechisch gedreht und mit französischen Untertiteln versehen. Das reiche ich dann in Cannes ein, und wenn wir dann gewinnen, sage ich: ‹Hi! War nur Spass!›»

© THOMAS BINOTTO

2009 IN DER «WELTWOCHE» (Nr. 38) ERSCHIENEN

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