Luis Buñuel (1900-1983)

Wie Hollywood einen Regisseur verachtet und damit der Filmwelt ein Genie bewahrt hat…

1972 trafen sich ein paar alte Männer zum Essen. Das bei dieser Gelegenheit entstandene Foto könnte von irgendeiner x- beliebigen Klassenzusammenkunft stammen. Wer jedoch die darauf abgebildeten Figuren erkennt, dem dämmert schnell, dass hier Filmgeschichte aufgereiht wurde.

Auf Einladung von George Cukor trafen sich unter anderem Alfred Hitchcock, William Wyler, Billy Wilder, Robert Wise und George Stevens. In ihrer Mitte sass als Ehrengast Luis Buñuel und fühlte sich ganz offensichtlich nicht recht wohl in seiner Haut.

Über den Verlauf dieses denkwürdigen Veteranentreffens sind mindestens drei Versionen überliefert. Wilder erzählt von einem «Kaffekränzchen bekannter Regisseure», welches sich, wie jedes Jahr vor der Oscar-Prämierung, zum Stelldichein trifft, um über die Schlechtigkeit der Welt im allgemeinen und des Filmbusiness im Besonderen zu lamentieren. Buñuel nimmt amüsiert aber auch stolz Hitchcocks Schmeicheleinheiten entgegen – der begnadete Sadist huldigt dem ebenso begnadeten Masochisten.

Dank Wyler schliesslich ist uns folgende Anekdote überliefert: «Cukor erinnerte sich daran, wie er und Buñuel beide bei MGM unter Vertrag standen, der Exil-Spanier jedoch nichts zu tun erhielt. ‘Ich hörte von einer Art Schwarzer Liste’, erzählte Cukor, ‘und ging deshalb zu Irving Thalberg, um ihm zu sagen, wie skandalös es sei, dass ein derartiges Talent wie Buñuel auf einer schwarzen Liste stehe. Darauf habe Thalberg geantwortet: ‘Was wollen sie? Es existiert überhaupt keine schwarze Liste, und ich werde dafür sorgen, dass Buñuel sofort davon entfernt wird!’»

Wirklich überraschend an dieser Anekdote ist die Andeutung, dass Buñuel der Surrealist par excellence bei MGM unter Vertrag gewesen sein soll. Dennoch ist es Tatsache, dass es neben der frühen Karriere Buñuels mit dem geplanten Skandalfilm «Un chien andalou» und dem tatsächlichen Skandalfilm «L’age d’or», der mexikanischen Karriere und der späten französischen Karriere auch eine amerikanische, allerdings eine Nicht-karriere gab.

Keine Filme mit Huren

Begonnen hat Buñuels amerikanischer Traum mit einer privaten Vorführung von «L’age d’or» für den europäischen Generaldirektor der MGM. Dessen Reaktion war kurz und bündig: «Der Film hat mir überhaupt nicht gefallen. Ich habe überhaupt nichts verstanden, aber beeindruckt hat er mich doch.» Das reichte immerhin, um Buñuel einen der seltsamsten Kontrakte der Filmgeschichte anzubieten: Sechs Monate als «Filmlehrling» bei MGM mit der einzigen Aufgabe, einmal die «phantastische Technik» Hollywoods kennenzulernen.

Nach anfänglichem Zögern ging Buñuel auf den Handel ein, wohl auch deshalb, weil er den amerikanischen Film bewunderte – vor allem Buster Keaton, die Marx Brothers und die frühen Werke Chaplins. Als Buñuel schliesslich 1930 in New York ankam, war er von den USA als Land restlos begeistert. Was allerdings seinen Auftrag bei MGM anging, so frönte er dort vor allem dem süssen Nichtstun, einzig unterbrochen von einem Akt surrealistischer Kraftmeierei im Hause Chaplins, wo er zusammen mit zwei Freunden am Weihnachtsabend zum Entsetzen der Gäste den Christbaum demolierte. Von der

«phantastischen Technik» allerdings bekam er nur wenig mit. Von Greta Garbo wurde er aus dem Studio geworfen und als er sich weigerte, im Auftrag Thalbergs einen spanischen Film anzusehen, war sein Engagement bereits nach drei Monaten wieder zu Ende mit der Begründung, er sehe sich keine Filme mit Huren an, war Buñuel wohl doch zu weit gegangen.

Im Land der unbegrenzten Niederlagen

Nach diesem nicht eben vielversprechenden Gastspiel kam Buñuel 1938 in die USA zurück, diesmal mit dem Auftrag, als technischer Berater die Produktion von zwei Filmen über die spanische Republik zu begleiten. Doch wieder endete sein Engagement ohne zählbares Ergebnis. 1939 wurde der spanische Bürgerkrieg beendet, der Faschist Franco ging als Sieger hervor, die Republik war gestorben. Was Buñuel betraf, gab es nun wohl oder übel kein Zurück mehr und so begann er sich in New York umzusehen.

Als er schliesslich eine Stellung in der Filmabteilung des New York Museums of Modern Art gefunden hatte, kam ihm ausgerechnet Salvador Dalí, Freund und Mitautor von «Un chien andalou», in die Quere. Dieser behauptete, Buñuel sei Mitglied der kommunistischen Partei, was nicht stimmte, und er sei Atheist, was die Amerikaner bislang offenbar noch nicht herausgefunden hatten. Die Folge war, dass sich ein katholischer Kardinal höchstpersönlich mit Erfolg für die Absetzung Buñuels einsetzte.

Wieder einmal war Buñuels amerikanischer Traum geplatzt. Diesmal führte ihn die Arbeitssuche nach Kalifornien, wo er versuchte, als Gagschreiber unterzukommen – mit niederschmetterndem Resultat. Niemand, nicht einmal Chaplin, den er ja von seinem ersten Aufenthalt her gut kannte, bot ihm eine Chance.

© THOMAS BINOTTO

PUBLIZIERT IN «FILM – DIE SCHWEIZER KINOZEITSCHRIFT» 2/2000

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