Jesusfilme: Fortwährendes Scheitern

Wie war das noch mit dem letzten Abendmahl? – Das hat sich der Regisseur George Stevens zwischen 1958 und 1965 immer wieder gefragt. Sieben Jahre lang arbeitete er an seinem Jesusfilm «The Greatest Story Ever Told».
Stevens zog unter anderem auch Bibelwissenschaftler bei. Und diese beschrieben ihm, wie die Jünger damals im Kreis um Jesus zusammengesessen hatten. Von diesem Kreis ist im fertigen Film allerdings nichts mehr zu sehen, denn noch mehr als der Bibelwissenschaft wollte es Stevens seinem «bibeltreuen» Publikum recht machen. Also setzte er das letzte Abendmahl so in Szene, wie es bereits Leonardo da Vinci getan hatte. Dessen Darstellung war längst sakrosankt geworden. Und folglich fürchtete Stevens, ihm würde Blasphemie vorgeworfen, sollte er sich davon entfernen.

Der Wunsch nach einem authentischen Bild von Jesus Christus durchzieht die gesamte Bildgeschichte des Christentums. Ab dem 6. Jahrhundert werden «nicht von Menschenhand gemachten» Bilder verehrt. Davon zeugen unter anderem das «Mandylion» in Konstantinopel, das Turiner Grabtuch und das Schweisstuch der Veronika. Letzteres galt bis in die Renaissance als wahrheitsgetreues Christusbild.

Mit der Erfindung des Films taten sich für den Versuch, die Gestalt von Jesus Christus darzustellen, ganz neue Dimensionen auf. Die manipulative Kraft des Kinos ist so gross, dass seine Fiktion – wenigstens für die Dauer des Films – zur Realität wird. Jesus tritt tatsächlich als ein Mensch aus Fleisch und Blut auf. Nun können wir all seine körperlichen Merkmale begutachten: Seine blauen Augen, sein wallendes Haar, seine asketische Figur. Dieser Jesus spricht, gestikuliert, bewegt sich, tritt zu anderen Menschen in Beziehung. Und damit erscheint er uns so menschlich, dass wir nicht länger an uns halten können und auf ihn tatsächlich wie auf einen Menschen aus Fleisch und Blut reagieren. Wir finden ihn zu sanft – zu blauäugig – zu politisch – zu langmähnig – zu erotisch – zu durchtrainiert – zu sehr Enrique Irazoqui…

Ungnädig mäkelt das bibelfeste Publikum an jeder Christusfigur der Filmgeschichte herum. Deshalb ziehen sich die meisten Darstellungen in den vermeintlich sicheren Kanon der christlichen Ikonografie zurück und vermeiden wie George Stevens das Risiko. Denn nichts hat unser Bild von Jesus Christus so sehr geprägt wie die Bilder, die von ihm gezeichnet wurden. Sie haben eine Macht, die sich nach wie vor weit über jede Erkenntnis der Bibelwissenschaft erhebt. Da uns die Evangelien über die äusserliche Gestalt von Jesus Christus im Dunkeln lassen, haben wir uns selbst ein Bild gemacht, und dieses Bild hat sich so sehr verfestigt, dass es uns inzwischen authentisch erscheint.

Immer wieder gab es zwar Versuche, sich jeder Kritik durch vermeintliche Texttreue zu entziehen. Der jüngste ist erst gerade zwei Jahre alt. «The Gospel of John» wird als erste wahrhaft texttreue Verfilmung des Johannes-Evangeliums präsentiert. Regisseur David Batty lässt den kompletten Text des Johannes-Evangeliums von einem Erzähler vortragen – und nichts sonst. Aber selbst wenn «sein» Jesus Selva Rasalingam tatsächlich nicht dem üblichen Jesusfilmtypus entspricht, so greift Batty in der Bebilderung und auch in der musikalischen Untermalung auf die alten Muster zurück.

Wer die vermeintlich sicheren Pfade von «Texttreue» und «Bilderkanon» verlässt, der läuft meist geradewegs in den Skandal. Gegen Martin Scorseses «The Last Temptation of Christ» wettern bis heute bezeichnenderweise vor allem Gläubige, die den Film nie gesehen haben. Sie haben gar nicht erfahren, dass Scorsese kein «authentisches» Lebensbild im Sinne hatte. Ihm geht es – wie Nikos Kazantzakis in der Vorlage – um ein fiktives Gedankenspiel: Was wäre, wenn Jesus Christus sich nicht für den Weg des Kreuzes entschieden hätte? Dass sein Film einen ungewohnten Jesus zeigt, ist zwingende Folge des christologischen Experiments. Aber das kriegen die Verfechter des «nicht von Menschenhand gemachten Bildes» gar nicht mit – und schon gar nicht, dass auch Kazantzakis’ und Scorseses «anderer» Jesus schliesslich den Kreuzweg geht.

Ebenfalls heftige Proteste löste «The Life of Brian» aus. Dieses Mal war den Kritikern in ihrem Eifer entgangen, dass Monty Python eine Satire auf Bibelfilme im Sinn hatten. Sie machten sich also nicht über die Evangelien lustig, sondern nahmen die Klischees und lüpfigen Verharmlosungen durch Jesusfilme und -Musicals aufs Korn.

Selbst das inzwischen zum Klassiker gewordene Jesusspiel «Jesus Christ Superstar» von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice sorgte zunächst sowohl als Musical wie als Film für Unmut. In diesem Falle übersahen die Kritiker, dass sich unter dem ungewohnten Gewand einer Rockoper ein frommes Passionsspiel verbarg – dem Barock viel näher, als man das zunächst vermuten würde.

Vom ersten Jesusfilm 1897 bis zu den aktuellen Beispielen wird immer offensichtlicher, dass es auch dem Film nicht gelingt, das eigentliche Charisma von Jesus Christus erfahrbar zu machen. Selbst wenn das Kino all seine suggestive Kraft aufbietet, bleibt es dem trockenen biblischen Wort unterlegen. Je mehr wir bildhaft definieren, je weniger Lücken wir zulassen, je klarer die Interpretation wird, desto durchschnittlicher und anfechtbarer erscheint Jesus Christus.

Dieser Problematik war sich der amerikanische Autor Lew Wallace bewusst. Und er reagierte radikal. Anfang des 20. Jahrhunderts bestand er für die Bühnenfassung seines Romans «Ben Hur» darauf, dass Jesus Christus von keinem Schauspieler, sondern von einem Lichtstrahl dargestellt wurde. Dieser Haltung blieb auch William Wyler in der legendären Verfilmung von 1959 treu. Obwohl Jesus mehrmals auftritt, sehen wir nie sein Gesicht. Wyler zieht unsere Blicke nicht auf Jesus, sondern konsequent auf das, was Jesus bewirkt. Gerade deshalb ist «Ben Hur» nicht nur der Monumentalfilm mit dem spektakulären Wagenrennen, sondern auch ein gelungener Jesusfilm. Getreu dem Titel der Vorlage: «Ben-Hur: A Tale of the Christ»

Thomas Binotto – erschienen in «forum – Pfarrblatt der katholischen Kirche im Kanton Zürich» 6/20016

%d bloggers like this: