Der Himmel – ein verdammt anstrengender Ort

«Filme lesen» / Folge 2 /

Vom Paradies träumen? – Aber sicher!
Im Paradies leben? – Eine Zumutung!

Upload nennt sich eine Technik in nicht allzu ferner Zukunft. Mit dieser können betuchte Menschen knapp vor dem irdischen Ableben ihr «Ich» digitalisieren und in eine Cloud hochladen lassen. Ihr Avatar wird dabei so programmiert, dass er fortan als künstliche Intelligenz weiter existieren und mit dem Diesseits im Kontakt bleiben kann. In der gleichnamigen Serie «Upload» preist der führende Jenseits-Anbieter Horizon die Technologie wie folgt an: «Wie sieht die Belohnung für ein gutes Leben in einem speziell dafür erschaffenen Upload aus? Leben Sie in der vollkommensten und schönsten Umgebung, die man sich nur vorstellen kann. Die besten Tage Ihres Lebens könnten noch kommen, wenn es vorbei ist.»

Für Nathan beginnt dieser Rest vom ewigen Leben viel früher als erwartet. Völlig unvorbereitet hängt er nun in einem virtuellen Hotelkoloss im spätviktorianischen Stil namens Lake View rum, mitten im prächtigsten Indian Summer. Zu verdanken hat er dieses Paradies seiner schwerreichen Freundin, denn je glorioser der Himmel programmiert sein soll, desto teurer wird es. Und Supplements kosten natürlich extra.

Mit diesen jenseitigen Phantasien spielt «Upload», die ungemein unterhaltsame Satire, in der die Durchdigitalisierung unseres irdischen Lebens gespiegelt wird. Geschickt wird eine Zukunft entworfen, die bereits heute denkbar ist. Was zunächst als Setting für harmlose Gags erscheint, entpuppt sich immer wieder als abgründige Dystopie. Wer beispielsweise im Lake View sein monatliches Datenvolumen aufgebraucht hat, dem wird der Datensaft kurzerhand abgedreht. Bilder von weissgrauen Zellen, in denen Menschen in Graustufen eingefroren werden, weil sie sich keinen Farbtupfer mehr leisten können, solche Bilder erhalten über das Groteske hinaus eine visionäre Kraft. Sie machen sicht- bar, dass der Himmel nur so lange ein glückseliger Ort bleibt, wie wir uns keine konkreten Vorstellungen davon machen.

«A Matter of Life and Death» von Michael Powell (GB 1949)

Bezeichnenderweise gibt es in der gesamten Kinogeschichte keine einzige Darstellung des Himmels, die wirklich zum Verweilen einlädt. In Michael Powells «A Matter of Life and Death» (1949) wird im Himmel darüber gerichtet, ob der Pilot Peter D. Carter am Leben bleiben darf oder die Himmelsleiter hochsteigen muss. Regisseur Powell hält sich dabei mit dem Ausmalen sehr zurück und belässt den Himmel schwarzweiss. Das irdische Leben dagegen erblüht in Technicolor.

In «The Wizard of Oz» (1939) verhält es sich zunächst genau umgekehrt. Das Bauernmädchen Dorothy wird aus dem farblos langweiligen Kansas durch einen Wirbelsturm mitten ins quietschbunte Oz getragen. Dieses Zauberland präsentiert sich zwar als Paradiesgarten, entpuppt sich dann jedoch als Albtraum. Am Ende wünscht sich Dorothy nur noch die Rückkehr ins graue, aber irdische Kansas.

«The Wizard of Oz» von Victor Fleming (USA 1939)

Die Schwierigkeiten mit der Himmelsdarstellung sind altbekannt. Bereits der Dante Alighieri hat darüber geklagt: Der Himmel lasse sich im Gegensatz zur Hölle kaum beschreiben, weil er in seiner ewigen Glückseligkeit dramaturgisch einfach nichts hergebe. Erträglich wird der Himmel offenbar erst, wenn die himmlische Totalität in Frage gestellt wird.

Auch in «Upload» ist Nathans sonst so zufriedener Nachbar Zach bereit, für eine zünftige Erkältung zu bezahlen. Genussvoll leidend sitzt er in eine Wolldecke gehüllt neben Nathan und lässt sich von diesem für $1.99 ein «Hatschi» spendieren:

ZACH
(verschnieft)
«So eine Erkältung ist echt nicht witzig.»

NATHAN
(erstaunt)
«Wieso bezahlst du dafür, kostet das nicht ’nen Dollar die Minute?»

ZACH
«Tja, wenn du länger hier bist, wirst du sehen, dass es Spass machen kann, keinen Spass zu haben. Meine Nase ist tatsächlich verstopft, wie im echten Leben.»

Die scheinbar harmlose Fantasy-Serie « Upload» entwickelt sogar überraschende theologische Brisanz, wenn man sie als Vision jener Gnadenlehre erkennt, die Martin Luther bekämpft hat. Ein Himmel, den man sich mit guten Werken verdienen muss. Wo Rechnungen zu bezahlen sind, die auf Erden ausgestellt werden. Ein Himmel, in dem arme Seelen von unseren fürsorglichen Gebeten abhängig sind.

Wahrscheinlich absichtslos, aber gerade deshalb so wirkungsvoll entlarvt «Upload» den «Verdiensthimmel» als eine kapitalistische Phantasie. Eine Bastion der Erfolgreichen und Selbstgerechten gegenüber Heerscharen von Versagern. Die Fortschreibung irdischer Machtverhältnisse ins Jenseits.

Nach zehn Folgen sind wir geneigt, in jeder Vision des Himmels ein menschliches Konstrukt zu sehen, das wenig über Gott aussagt, aber viel über unsere Anstrengung, den Tod als Gleichmacher zu leugnen.

Thomas Binotto (erstmals publiziert in «bref» 1/2021)

P.S.

Die US-Serie « Upload» stammt aus der Feder von Greg Daniels, der bereits mit seiner Adaption von « The Office» als Satiriker brillierte. Die erste Staffel wurde 2020 veröffentlicht, eine zweite (schwächere) folgte 2022. Streaming bei Amazon Prime.

Die Bauzeit für die Himmelstreppe in «A Matter of Life and Death» dauerte drei Monate. Zeitweise nahmen um die 5000 Statisten im himmlischen Gericht Platz. Kostenlos auf Youtube zu sehen.

Mit « The Wizard of Oz» wurde die damals 15jährige Judy Garland zur Ikone. Der Klassiker verhalf dem Farbfilm zum Durchbruch und gehört zum Weltdokumentenerbe der Unesco. Streaming unter anderem bei Amazon Prime, Sky, iTunes.

0 comments on “Der Himmel – ein verdammt anstrengender Ort

Deine Meinung…

%d bloggers like this: