Howard Hawks (1896-1977)

«Ich liebe Männer, die schneller sind als ich.»

Das Werk von Howard Hawks ist von beeindruckender Vielfalft. Ihm verdanken wir klassische Western («Rio Bravo», «Red River»), Thriller («Scarface», «The Big Sleep»), Abenteuerfilme («Only Angels Have Wings», «To Have and Have Not») und Screwball-Comedies («Bringing Up Baby», «His Girl Friday»).

Ausgerechnet diese Vielseitigkeit ist aber auch mitverantwortlich dafür, dass Hawks häufig unterschätzt und lediglich als solider Handwerker betrachtet wurde und wird. Sein Werk lässt sich halt nicht auf eine einprägsame Kurzformel reduzieren. Lubitsch gleich Komödie, Hitchock gleich Thriller, Ford gleicht Western – und Hawks?

Gewiss, auch Hawks wurde von der französischen Filmkritik in den sechziger Jahren gefeiert. Aber er selbst kommentierte deren Interpretationen eher amüsiert: «Jungs, ihr habt ja eine Menge an Ideen, was meine Filme betrifft, und ich höre euch wirklich gerne zu, aber wo ihr all diese Ideen herhabt, das ist mir schleierhaft.» Mit dem ihm eigenen Understatement be- hauptete Hawks lieber, seine einzige Aufgabe sei es, das Publikum nicht zu langweilen.

Dennoch, wer die Hälfte seiner 41 Spielfilme selbst produziert, immer am Drehbuch mitgearbeitet und sich mehrmals mit den grossen Studios angelegt hat, der muss mehr sein, als ein braver Handwerker. Es gibt ihn eben doch, den typischen Hawks- Touch.

Dieser zeigt sich unter anderem in der Art und Weise wie Hawks mit Zeit umgeht und welchen Wert er immer und in jedem Genre auf Geschwindigkeit gelegt hat. Hier übertrug der ehemalige Rennfahrer, Konstrukteur von Rennautos und aktive Flie- ger die Leidenschaft für hohe Tempi auf seine Film. Wenn Jane Russel in «Gentlemen Prefer Blondes» angesichts der trainie- renden Olympia-Mannschaft bemerkt: «Ich liebe Männer, die schneller sind als ich!», dann steckt darin auch ein wenig das filmische Credo von Howard Hawks.

Wieviel ihm Tempo bedeutete, verrät Hawks in seinem Urteil über den Regiekollegen Sam Peckinpah: «Er hat keine Ahnung von Regie. Ich kann vier Männer töten, sie ins Leichenschauhaus bringen und dann begraben lassen, bevor er einen einzigen Mann in Slow Motion zu Boden bringt.»

Hawks liebt also Geschwindigkeit und er liebt folglich auch Fahrzeuge. Es ist erstaunlich, wie oft in seinen Filmen Fahrzeu- ge eine entscheidende Rolle spielen. Sie sind damit auch ein Zeichen für den Vorwärtsdrang in Hawks Filmen. Seien es nun Flugzeuge, Rennautos, schnelle Autofahrten und Verfolgungsjagden, oder auch Schiffe und Züge – immer dienen Fahrzeuge dazu, die Protagonisten und die Handlung voranzubringen.

Hawks hat einmal gestanden, ihm seien Bewegung und Handlung viel wichtiger, als Dialoge. Und wenn ein Schauspieler mit einer Szene Mühe habe, dann fordere er ihn auf, diesselbe Szene nochmals, aber zwanzig Sekunden schneller, hinter sich zu bringen. «Ich mag es, wenn etwas so schnell geschieht, dass sich der Zuschauer fragt: ‚Mein Gott, ist das wirklich passiert?‘» Und aufs Tempo drückt Hawks normalerweise von Beginn weg. Seine Expositionen sind äusserst knapp, lassen aber dennoch nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig. In seinem frühen Meisterwerk «Scarface» beispielsweise, vermittelt er den komple- xen Hintergrund seiner Geschichte in wenigen Minuten. Drei hart geschnittene Szenen genügen, um zu zeigen, wie man in Gangsterkreisen miteinander umgeht, welche Schlagzeilen die Presse daraus macht und wie hilflos die Polizei diesen Proble- men gegenübersteht.

Solche Verkürzung und Raffung der Zeit gehört zu den häufigsten Stilelementen in Hawks Filmen. In vielen seiner grossen Werke erstreckt sich die Handlung nur auf wenige Tage oder gar Stunden («Bringing Up Baby», Only Angels Have Wings», «His Girl Friday», «To Have and Have Not», «The Big Sleep», «Monkey Business», «Rio Bravo», «Man‘s Favorite Sport?»)

Ein herausragendes Beispiel für diesen stilisierenden Umgang mit Zeit ist «Rio Bravo». Die Entwicklung, welche die Hauptfi- guren durchmachen, ist gewaltig und würde sich realistisch betrachtet über einen viel längeren Zeitraum erstrecken. Aber erst durch diese Zeitraffung wird «Rio Bravo» zum exemplarischen Western, zu einem «Western-Konzentrat» gewissermassen.

Geschwindigkeit spielt auch in der Beziehung den Hauptfiguren, besonders zwischen Männern und Frauen eine wesentliche Rolle. Es gibt wohl keinen anderen Regisseur, bei dem sich Paare so unvermittelt und ohne langes Vorgeplänkel küssen. Und um das Tempo noch weiter zu steigern, hat Hawks in «His Girl Friday» erstmals mit überlappenden Dialogen gearbeitet. Er liess an jede Textpassage zu Beginn und am Schluss einen unwichtigen Satz anfügen und an diesen Stellen die Darsteller ein- ander ins Wort fallen. Damit erhöht sich der Eindruck von Geschwindigkeit, obwohl dies objektiv nicht der Fall ist.

Dass Hawks stets bedacht war, retardierende Sentimentalität zu vermeiden, zeigen schliesslich auch seine Schlüsse, die fast ausnahmslos äusserst knapp sind. Obwohl die meisten seiner Filme mit einem sogenannten «Happy-End» ausgehen, hat er dieses nie breitgewalzt und mit Fanfaren angekündigt. Aus John Wayne spricht in «El Dorado» offenbar auch Howard Hawks, wenn er lakonisch bemerkt: «Willst du‘s nicht gleich als Heldenepos vertonen lassen – mit Pauken und Trompeten?»

Für Hawks war gutes Kino ohne bewusst hochgehaltenes Tempo nicht denkbar und er wies immer wieder darauf hin, dass Filme auch «Motion-Pictures» hiessen. Dass er mit seiner Meisterschaft, eine Geschichte voranzutreiben in verschiedenen Genres erfolgreich war, kann also nicht mehr so sehr erstaunen. Und dass Hawks für die Screwball-Comedy geradezu prädes- tiniert war und mit «Bringing Up Baby» und «His Girl Friday» die vielleicht schnellsten Beiträge geliefert hat, ist schon fast selbstverständlich. Gerade in den Komödien trägt Hawks Meisterschaft im Umgang mit Geschwindigkeit ganz wesentlich zur Komik bei. Er tut dies, indem er Heldin und Held in verschiedenen Tempi gehen lässt. Sowohl in «Bringing Up Baby» als auch in «Man‘s Favorite Sport?» ist die Frau dem Mann immer ein paar Schritte voraus und in «Monkey Business» macht das Spiel mit der Zeitungleichheit fast die ganze Komödie aus.

Hinter Hawks Tempo-Credo stecken aber auch grundsätzliche Überlegungen. Auf die Frage, weshalb er Rückblenden ablehne, antwortete Hawks: «Wenn du nicht gut genug bist, eine Geschichte ohne Rückblenden zu erzählen, weshalb versuchst du dann überhaupt, sie zu erzählen?»

Tätsächlich blickt Hawks in seinen Filmen kaum je zurück. Immer ist sein Blick vorwärtsgerichtet und das hat auch mit seiner persönlichen Sicht des Lebens zu tun. Obwohl er selbst bis ins hohe Alter äusserst aktiv war, stand er dem amerikani- schen Jugendlichkeitskult ausgesprochen skeptisch gegenüber.

«Monkey Business» ist im Grunde eine Satire über Menschen, die gewissermassen in Rückblenden leben. Nicht nur, dass Cary Grants Ehe an seinen Forschungen für ein Verjüngungsmittel fast scheitert. Wenn dieses Mittel endlich wirkt, dann werden die Menschen nicht etwa jung, sondern nur kindisch. Und am Schluss steht die Einsicht, dass «alt ist, wer vergisst, dass er jung ist.»

Hawks macht in all seinen Filmen deutlich, dass Leben und Liebe ein ewiger Kampf sind. In ständiger Bewegung und zum Kampf bereit zu sein, zeugt für ihn von Lebendigkeit und Vitalität. Sich jedoch in selbstgenügsamer Zufriedenheit zu räkeln, das erscheint Hawks verlogen und dekadent. Was wäre in der Tat enttäuschender und unglaubwürdiger, als wenn zum Schluss von «Bringing Up Baby» auf Cary Grant und Katherine Hepburn geruhsame und einträchtige Flitterwochen warteten.

Besonders genüsslich hat Hawks seine Überzeugung in der letzten Szene von «Man‘s Favorite Sport?» ins Bild gesetzt. Wenn Rock Hudson endlich seine Paula Prentiss im Arm hält und küsst, schneidet Hawks scheinbar völlig unmotiviert zwei Loko- motiven dazwischen, die bei vollem Tempo aufeinander zurasen und so zum Stillstand kommen. Und dann setzt er mit einem getürkten Stummfilmausschnitt noch einen drauf. Dort küsst nämlich ein junger Beau seine Geliebte, worauf diese entsetzt antwortet: «Das hättest du nicht tun sollen.» – «Weshalb?» fragt der Mann. – «Weil dies das Ende bedeutet.»

Seine Knappheit, die Vermeidung träger Sentimentalität und das konsequente Tempo in seinen Filme, haben Hawks oft den Vorwurf eingetragen, ein Zyniker zu sein. Ein Vorwurf, der sich bei näherer Betrachtung seiner Filme als unhaltbar erweist. Hawks spricht vielleicht wie ein Zyniker, aber er ist im Grunde genauso wenig einer wie Humphrey Bogart in «To Have and Have Not». Der betont zwar unaufhörlich, nur für sich selber verantwortlich und ausschliesslich an Geld interessiert zu sein, aber in Wirklichkeit sorgt er sich unaufhörlich um hoffnungslose Fälle.

Die harten und nur scheinbar zynischen Figuren in Hawks Filmen können letztlich nur in einer solidarischen Gemeinschaft stark sein. Dementsprechend verdanken wir Hawks eine ganze Reihe von eindrücklichen Portraits wahrer Freundschaft und Solidarität. Meist gilt seine Sympathie dabei den Aussenseitern, jenen, die vom Leben schwer mitgenommen wurden. – Und bei Hawks darf John Wayne sogar weinen.

Aber auch hier gilt – im Handeln, in der Aktion muss sich Freundschaft zeigen und beweisen, nicht im sentimentalen gegen- seitigen Schulterklopfen. Obwohl die Helden in Hawks Filmen zum Schluss scheinbar am selben Ort stehen wie zu Beginn, haben sie immer eine entscheidende Entwicklung durchgemacht und sind «vorwärtsgekommen». Aber zu Ende, daran lässt Hawks nie Zweifel aufkommen, ist der Lebenskampf deshalb noch lange nicht.

Wollte man unbedingt einen besonderen Hawks-Terminus einführen, man könnte vielleicht von «Hawks-Drive» sprechen. Ob man damit allerdings seinem Werk gerecht würde, ist mehr als fraglich. Ein Reiz von Hawks Werk besteht nämlich gerade darin, dass es dem Kino so viele Klassiker geschenkt hat, und sich trotzdem nicht in ein einheitliches Deutungskonzept pres- sen lässt. Hawks wäre wohl zufrieden, auch weiterhin als Handwerker, ein herausragender natürlich, geschätzt zu werden.

In seinem Jargon gesagt: Seine Meisterschaft, das Publikum während vierzig Jahren nicht zu langweilen, war ein «damned well done job».

© THOMAS BINOTTO

PUBLIZIERT IN «ZOOM» 5/1996

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