Preston Sturges (1898-1959)

ICH BIN FÜR DICH, WAS DIE AXT FÜR DEN TRUTHAHN

«Sie war mit einer derart reichen und mächtigen Fantasie gesegnet, dass sie an alles, was sie dreimal gesagt hatte, mit Innbrunst glaubte. Oft reichten auch zweimal.» So wie Preston Sturges seine leibliche Mutter beschreibt, kann man nahezu das gesamte Personal seiner Komödien charakterisieren.

«Lassen sie mich nicht los» schmachtet die raffinierte Falschspielerin Barbara Stanwyck den trotteligen Schlangenforscher Henry Fonda an und wirft sich ihm scheinbar schutzsuchend an die schmächtige Brust. Der glaubt dem schönen Schein natürlich nur allzu gern, selbst wenn offensichtlich ist, dass in Wirklichkeit sie ihn eingefangen hat, weil sie ihn braucht «wie die Axt den Truthahn».

Geradezu vom guten Glauben besessen sind auch die Einwohner eines kleinen Städtchens, als sie ihren vermeintlichen Kriegshelden empfangen. Dass er wegen Heuschnupfen längst aus der Marine entlassen wurde und den Krieg nur vom Hörensagen kennt, wollen sie gar nicht wissen und feiern unbeirrt weiter – vor allem sich selbst. Der Schwindler will gestehen, aber die Menge weigert sich zuzuhören, und ein altes Komödienmuster verkehrt sich in sein Gegenteil.

In den Filmen von Preston Sturges ist alles Illusion, die dann von ihm systematisch und lustvoll zerlegt wird. Selbst seine scheinbar hollywoodkonformen Happy-Ends sind lediglich eine weitere Farce, der man nun allerdings nicht mehr trauen mag: Mit «Sie lebten glücklich bis an ihr Ende» endet «The Palm Beach Story» und das, nachdem eine Frau ihren Mann aus Geldgier verlassen, sich dem erstbesten Millionär an Fersen und Brieftasche geheftet hat und schlussendlich nur deshalb wieder im alten Ehehafen gelandet ist, weil sie eine Zwillingsschwester und einen Zwillingsehemann aus dem Hut zaubern konnte. Und nach all dem: «Sie lebten glücklich bis an ihr Ende» – «Wirklich?» lautet deshalb postwendend die provokative Frage auf die konventionelle Antwort und der Film endet so, wie er begonnen hat.

Sturges liebt dieses Spiel mit Umkehrungen, Repetitionen und Doppelungen über alles. In kaum einem seiner Filme fehlt eine raffinierte Spiegelszene, die alles in Frage stellt, was eben noch vollmundig behauptet wurde. Dass sich in «Unfaithfully Yours» die Bücherwände des distinguierten englischen Dirigenten als billige Imitation entpuppen, hinter denen sich Kleiderschrank und Badezimmer verbergen, enthüllt zudem ein weiteres von seinen liebsten Motiven: Die Versessenheit der Amerikaner auf europäische Kultur und ihre Unfähigkeit, etwas Vernünftiges damit anzufangen. Das Heim des Brauereibesitzers Pike in «The Lady Eve» ist gerade deshalb ein so lächerlicher Operettenstaat, weil er sich mitten in den USA befindet. Und an Barbara Stanwyck als englische Hochadlige kann wirklich nur glauben, wer krampfhaft nicht anders will. Nicht zu vergessen die so genannte Prinzessin in «The Palm Beach Story», die sich einen exotischen lebenden europäischen Gartenzwerg hält, der «so etwas wie Belutschistanisch» spricht.

Dieser amerikanisch-europäische Graben spielte auch im Leben von Preston Sturges eine wesentliche Rolle. Kurz nach seiner Geburt 1898 in Chicago verliess seine Mutter ihren Mann und heiratete den reichen Solomon Sturges, der schliesslich Preston adoptierte. Dank der Grosszügigkeit und Langmut ihres zurückbleibenden Gatten, verbrachten sie die folgenden Jahre in Europa, wo Preston exquisite Schulen in Paris, Lausanne, Dresden und Berlin besuchte.

Nach einigen Umwegen wurde er 1930 Drehbuchautor in Hollywood, bis er 1940 Gelegenheit erhielt, eines seiner Bücher auch selbst zu verfilmen. Der Legende nach, hat der wohlhabende Sturges die Produzenten für die symbolische Gage von 10 Dollar rumgekriegt. Innerhalb von acht Jahren drehte er zehn Filme meistens nach eigenen Vorlagen und wurde damit zum ersten «Auteur» Hollywoods, lange bevor es diesen Begriff gab.

Ausgerechnet mit «Unfaithfully Yours», seinem ambitioniertesten und auch raffiniertesten Film, sank sein Stern nach 1948 rapide. Er drehte noch zwei erfolglose Komödien, verkrachte sich bei «Vendetta» zunächst mit Max Ophüls und dann mit Howard Hughes und starb schliesslich 1959, vier Ehen, drei Söhne und eine Handvoll Meisterwerke aber nichts von seinem einstigen Reichtum hinterlassend.

Oft wird behauptet, Sturges sei zwar ein genialer Drehbuchautor aber ein ziemlich konventioneller Regisseur gewesen. Diese Wertung übersieht, dass er als einer der ersten mit Voice-Over-Kommentaren experimentiert hat, und dass seine Film derart rasant inszeniert sind, dass bis heute kein bisschen nostalgische Behäbigkeit aufkommt. Nur schon wie er «Aufstieg und Fall einer Ehe» innerhalb des Vorspanns von «The Palm Beach Story» inszeniert, war für seine Zeit nicht nur aussergewöhnlich, es ist auch heute noch atemberaubend.

Herausragend ist zudem seine Instrumentalisierung der Musik. Während von anderen, auch klassischen Filmkomödien jener Zeit, der Plätschersoundtrack in unserer Erinnerung keinerlei Spuren hinterlässt, ist sie bei Sturges integraler Bestandteil der Inszenierung. Zum Beispiel wenn Henry Fonda, genannt «Hopfi» in «The Lady Eve» im Nachtzug, in der Hochzeitsnacht notabene, zu seiner «Ich-verzeihe-Dir-Liebling-Rede» anhebt. Sein hohles Pathos wird nur schon dadurch konterkariert, dass darunter das Pilgerlied aus Wagners «Tannhäuser» gelegt ist. Dann aber eskaliert die grosse Geste infolge immer neuer amouröser Enthüllungen zu einem Furioso, die Räder des Nachtzugs drehen immer schneller, die Kolben stampfen immer hektischer, und Fonda wird zum Schluss vom Objekt seiner Begierde unbefriedigt in den Schlamm ausgespuckt. Aus Wagner ist ganz folgerichtig Slapstick geworden und aus der freudianischen Lokomotive wieder der schmalbrüstige «Hopfi».

In «Unfaithfully Yours» hat Sturges dieses doppelbödige Spiel auf die Spitze getrieben, indem er die wilden Rachephantasien eines Dirigenten synchron zu drei verschiedenen Musikstücken orchestrierte. Nur schon auf die Idee, zur Musik von Rossini eine düstere Mordphantasie zu servieren, muss man erst kommen.

Preston Sturges hat in seinen besten Filmen so ziemlich alles der Lächerlichkeit preisgegeben, was dem Amerikaner, und nicht nur ihm, hoch und heilig ist: In «The Great McGinty» die ehrbaren Politiker, in «Christmas in July» das Streben nach Erfolg, in «The Lady Eve» den Moraldünkel des Geldadels, in «The Palm Beach Story» den Stand der Ehe, in «Hail the Conquering Hero» den Hurrapatriotismus und in «The Miracle of Morgan’s Creek» die heilige Mutterschaft. Und das alles wohlgemerkt mitten im Krieg!

Dafür mag man ihn einen Zyniker nennen. Oder aber einen Therapeuten. Wie sein Alter-Ego John L. Sullivan in «Sullivan’s Travels» hat Preston Sturges sich dafür entschieden, die sozial engagierten Filme aufzugeben, nicht aber das soziale Engagement. Dem scheinbaren Zynismus zum Trotz glaubt Sturges an das kritische Potential seiner Komödien. Aber er kann dem irren Leben nur noch mit irrem Gelächter beikommen. Und so führt er uns die nötige Portion Desillusionierung zu, die wir brauchen, um den Alltag zu meistern. Zu unserem Glück ist «Dr. Sturges’ Elixier» so hochprozentig, dass es heute noch unvermindert wirkt. Ihm gelingt aus Tragik und Komik die «permanente Verpfropfung zweier Bäume zu einem Baum».

© THOMAS BINOTTO

PUBLIZIERT AM 30. AUGUST 2002 IN DER «NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG»

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